für Afrika“ aufgelegt. Der Fonds war nur ein Schritt in einer breit angelegten EU- Politik gegenüber Afrika: Agenda für Mi- gration, Afrika-EU-Partnerschaft, Akti- onsplan für Migration, Valletta-, Khar- toum- und Rabat-Prozess, ein Labyrinth bedruckter Seiten. All diese Konzepte ha- ben im Wesentlichen ein gemeinsames Ziel: die Migration vom südlichen Nach- barkontinent nach Europa zu stoppen. Eine Extraportion Entwicklungshilfe Dass da, wo Entwicklungszusammenar- beit draufsteht, immer öfter Migrations- kontrolle drinsteckt, ist ein Prozess, der schon vor längerer Zeit begann. Insgesamt hat die EU in den vergangenen 15 Jahren mindestens 14 Milliarden Euro bewilligt, damit Flüchtlinge und irreguläre Migran- ten da bleiben, wo sie sind. Europäische Hilfe wird also immer mehr zum Druck- mittel gegenüber einer Reihe der ärmsten Staaten der Welt. Unverblümter und um- fassender als früher wird sie an Bedingun- gen geknüpft, umgewidmet, konzentriert: dahin, wo Europas politische Prioritäten liegen. Wer nicht hilft, unerwünschte Mi- granten fernzuhalten, soll nicht nur Hilfs- zahlungen, sondern auch Marktzugänge verlieren. „Erzeugung und Nutzung der er- forderlichen Hebelwirkung unter Einsatz aller einschlägigen – auch entwicklungs- und handelspolitischen – Maßnahmen, Instrumente und Hilfsmittel der EU“, heißt das im Beschluss des EU-Rats von Juni und Oktober 2016. Geld nur für Gegenleistungen – „dieser Gedanke ist bei den Europäern von Beginn der Verhandlungen im Valletta-Prozess da“, sagt der Verhandlungsführer der EU, Pierre Vimont. Viele der EU-Innenmini- ster machten Vimont klar: Nur, wenn mehr Migranten von ihren Ländern in Afrika wieder zurückgenommen werden, soll für diese die Entwicklungshilfe steigen. In der Abschlusserklärung von Valletta ist von diesem Mechanismus noch keine Rede. Doch in ihrem Partnerschaftsrah- men von 2016 wird dies explizit zur Be- dingung für Hilfe gemacht: „In die Ent- wicklungs- und Handelspolitik der EU wird ein Mix aus positiven und negativen Anreizen eingebunden, um die Anstren- gungen der Länder zu honorieren, die be- reit sind, bei der Migrationssteuerung wirksam mit der EU zusammenzuarbei- ten, und um Konsequenzen für jene si- cherzustellen, die dies verweigern.“ Der damalige EU-Parlamentspräsident Schulz bekräftigte: Man wolle „Drittländer (…) belohnen, die willens sind, ergebnisorien- tiert mit uns zusammen(zu)arbeiten. Den- jenigen, die hierzu nicht bereit sind, soll gezeigt werden, dass dieser Unwille Kon- sequenzen hat.“ Eine Extraportion Entwicklungshilfe gibt die EU hingegen an diejenigen Regie- rungen, die sich in Sachen Migrations- kontrolle einspannen lassen. So kam es, dass ausgerechnet der bettelarme Wüsten- staat Niger, um den sich die EU bislang kaum bemüht hatte, zu Europas Haupt- partner im Kampf gegen die irreguläre Mi- gration in Afrika wurde. Die nigrische Stadt Agadez war bislang Drehkreuz für Migranten aus Westafrika in Richtung Mittelmeer. Durch diese historische Han- delsstadt geht seit Jahrtausenden alles hin- durch, was von Westafrika durch die Sa- hara will: Waren, Händler, Kamele und Migranten. Agadez ist die letzte große Oase vor der Sahara. Niger lässt sich gut bezahlen Die EU hingegen will mehr Kontrolle in der Region. Ein Beamter der EU-Grenz- schutzagentur Frontex wurde in den Niger entsandt. Mithilfe von hochauflösenden Satellitenaufnahmen verfolgt Frontex im Hauptquartier in Warschau Reifenspuren im Wüstensand: Von Agadez aus müssen Lastwagen, Busse oder Pick-Ups vollbela- den mit Waren und Migranten tausende Kilometer durch die Wüste fahren, um die libysche Grenze zu erreichen. Unterwegs machen sie an den Wasserstellen Halt, um Trinkflaschen aufzufüllen. Im vergangenen Jahr hat die EU dem Niger über 600 Millionen Euro zugesagt, wenn es Migranten aufhalte und die Schlepper verhaftet. Deutschland stattete die nigrische Armee mit Fahrzeugen und Radargeräten aus. Mithilfe von französi- schen Soldaten stationierte Nigers Armee gezielt Einheiten an den Wasserstellen ent- lang der Wüstenroute von Agadez nach Li- IM VORDERGRUND GRENZEN byen. Die Franzosen bringen ihren ni- grischen Kameraden Verhaftungstechni- ken bei. Schon 2015 hatte die Regierung ein Gesetz beschlossen, das für „Handel mit Menschen“ eine Gefängnisstrafe von bis zu 30 Jahren sowie eine Geldbuße von bis zu 45 000 Euro vorsieht. Seitdem macht Nigers Armee Jagd auf Fahrzeuge, die Migranten durch die Wüste transportieren. Sie hat Soldaten an den Wasserstellen postiert. Dies führt dazu, dass immer mehr Fahrer weite Umwege machen, um Verhaftungen zu umgehen. Die Folge: Immer mehr Migranten und Flüchtlinge verdursten auf dem langen be- schwerlichen Weg durch die Sahara. An- fang Juni 2017 war ein Lastwagen mitten in der Sahara liegen geblieben. Nur sechs Menschen konnten sich zu Fuß bis zur nächsten Wasserquelle durchschlagen. Zwei der Überlebenden führten Retter da- nach zum Unglücksort, an dem 44 Leichen gefunden wurden, darunter 17 Frauen und sechs Kinder. Am selben Tag rettete die ni- grische Armee etwas weiter östlich 40 Menschen, die von den Schleppern in der Sahara zurückgelassen worden waren. Erst wenige Wochen zuvor waren acht Migran- ten auf dem Weg nach Algerien verdurstet, davon fünf Kinder. Gratuliert hat die Europäische Kom- mission Niger am 15. Dezember 2016 da- für, dass weniger Migranten nach Europa kommen. Schmuggler waren verhaftet und vor Gericht gestellt worden, 95 Fahr- zeuge beschlagnahmt und neun Polizisten inhaftiert worden, weil sie unter Korrup- tionsverdacht standen. Ni- ger leistet der EU als Tür- steher einen gewaltigen Dienst. Albert Chaibou, Journalist aus Niger und Gründer einer Migranten- Notruf-Hotline, hingegen klagt: »Unser Land ist im Dienst Europas zum Fried- hof verkommen.« A Simone Schlindwein arbeitet als Korrespondentin für Ostafrika und lebt in Kampala, der Hauptstadt von Uganda. Sie ist Mit-Autorin des Buches „Diktatoren als Türsteher Europas: Wie die EU ihre Grenzen nach Afrika verlagert“. missio 2/2018 | 29