Welche Möglichkeiten gibt es? Wichtig ist, dass man Menschenrechtsver- letzungen nicht tot schweigt. Das größte Hindernis auf dem Weg zur Versöhnung ist, wenn Täter nicht bestraft werden und die Opfer übergangen werden. Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass die Opfer und Welcher Bedeutung messen Sie den Kirchen bei, wenn es um Menschenrechts - arbeit geht? Ich messe den Kirchen eine sehr große Rolle zu, nicht nur den Kirchen, sondern den Religionsgemeinschaften generell. Oft sind sie die einzige moralische Ins - JEDER FRIEDENSPROZESS IST ERFOLGREICHER, WENN FRAUEN EINGEBUNDEN SINDN gen. Ganz grundsätzlich müssen wir In- teresse daran haben, dass Länder Stabili- tät und Frieden für ihre Bevölkerung ge- währleisten können, und aus meiner Sicht geht das nur über die Einhaltung der Menschenrechte. Alles andere wird mittelfristig immer zu Konflikten führen, die für niemanden von Inte - resse sein können, egal ob sich jemand wirtschaftlich betätigen möchte oder nicht. Menschenrechte sind die Ba- sis einer Gesellschaft, die zukunftsfähig sein will, und ich glaube, dass das auch im wirtschaftlichen Sinne immer mehr Leute verstehen. Schauen wir einmal auf die Geschäfte der Bundesregierung: Deutschland liefert Kleinwaffen nach Saudi-Arabien, ein Land, das im Jemen kämpft. Im Jemen wer- den Kindersoldaten rekrutiert, die mit Kleinwaffen kämpfen. Unter Umständen könnten diese Waffen also aus Deutsch- land stammen. Ihre Aufgabe ist, die Men- schenrechtsverletzungen im Jemen aufzu- zeigen. Müsste man hier nicht zuerst un- sere eigene Regierung in die Pflicht neh- men? Dass es schwere Menschenrechtsverlet- zungen im Jemen gibt, auch aufgrund der kriegerischen Handlungen von Saudi- Arabien, ist klar. Jemen ist eines der Län- der mit dem größten Problem, insbeson- dere was die Versorgung der Menschen und die Gesundheits- und Nahrungsmit- telversorgung von Kindern angeht. Da - rauf hinzuweisen, das ist meine Aufgabe. Und es ist dann natürlich auch meine Auf- gabe, darauf hinzuwirken, dass keine Kleinwaffen mehr nach Saudi-Arabien aus geführt werden. Menschenrechtsverletzungen gehen von der Zivilbevölkerung aus, aber auch von staatlichen Institutionen. Wann ist es be- sonders schwer, Krisen wieder aufzulösen? Das ist natürlich länderspezifisch, es gibt immer unterschiedliche Schwierigkeiten. Aber sobald irgendwo Opfer zu beklagen sind, ist die große Frage: Wie heilt man die Gesellschaft wieder? Wie bringt man die Angehörigen der betroffenen Grup- pen zueinander, um einen Friedenspro- zess voranzubringen. Das ist immer das Allerschwierigste. das, was sie erlitten haben, auch entspre- chend in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Und wir wissen mittlerweile auch, dass jeder Friedensprozess und je- des Überwinden von Konfliktsituationen länger hält und besser funktioniert, wenn Frauen adäquat einbezogen sind. Wie steht es um Syrien – haben Sie noch Hoffnung, dass sich die Lage bald bessert? Diese Hoffnung muss man immer haben, weil man sonst gar nicht mehr daran ar- beiten könnte, zum Frieden zu gelangen. Ich hatte kürzlich in Genf die Gelegenheit, mich mit Frauen des „Women's Advisory Board“ zu unterhalten. Das sind verschie- dene Frauen aus Syrien, die genau wie die Männer den unterschiedlichsten Lagern nahe stehen. Sie aber haben den Friedens - prozess in den Mittelpunkt gestellt. Sol- chen Gruppen würde ich mehr Stimme wünschen, um aus den festgefahrenen Strukturen einmal herauszukommen und die Verhandlungen voranzutreiben. Syrien hat nach dem „Arabischen Früh- ling“ eine besonders dramatische Ent- wicklung genommen. Aber auch in ande- ren Ländern hat sich nicht viel verbessert. Hat sich der Einsatz der Demonstranten für mehr Menschenrechte gelohnt? Es lohnt sich immer, sich für Menschen- rechte einzusetzen – in allen Regionen dieser Erde. Ich glaube, es wäre auch ein bisschen verkürzt zu sagen: Die Demons - tranten haben Menschenrechte gefordert, und weil das nicht gewollt war, ist alles so geendet, wie es geendet ist. Länder des Maghreb und Länder des Nahen und Mittleren Ostens haben ja ganz eigene Geschichten. Da gibt es viele Weichen- stellungen, warum ein Konflikt eskalieren kann. Fest steht: Wenn man Menschen- rechte nicht ernst nimmt, dann schwelt der Konflikt unter der Oberfläche und führt mittelfristig zu Instabilität. tanz in einer Region. Das bedeutet auch eine große Verantwortung. Manchmal sind sie auch die einzigen, die soziale Strukturen aufrechterhalten können. Bei- spielsweise habe ich im Ostkongo gese- hen, dass kirchliche Bildungseinrichtun- gen die einzigen waren, die den Men- schen Angebote machen konnten. Oder auf den Philippinen: Da ist es die katholi- sche Kirche, die gerade angesichts der Vielzahl von illegal getöteten Menschen für die Angehörigen da ist, und es mög- lich macht, dass die Opfer nicht in der Anonymität verschwinden, sondern dass ihnen Gesicht und Stimme gegeben wird. Das ist sicher keine einfache Aufgabe, aber ein sehr wichtige. A ZUR PERSON Die SPD-Politikerin Bärbel Kofler vertritt den Wahlkreis Traunstein in Oberbayern. Seit 2004 ist sie zudem Mit- glied des Deutschen Bundestages. Im März 2016 wurde Kofler zur Beauftragten der Bundesregierung für Men- schenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe ernannt. Das Amt wurde eingeführt, als SPD und Grüne 1998 die Bundesregierung übernahmen. Zu den Aufgaben der Menschenrechtsbeauftragten gehört es, weltweite Miss- stände zu kennen, politische Entwicklungen zu verfol- gen und dem Bundesaußenminister Vorschläge zur Ge- staltung deutscher Politik in diesen Bereichen zu ma- chen. Bis Februar 2016 war Kofler entwicklungspoliti- sche Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Mit- glied im Ausschuss für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bis heute ist sie Mitglied im Auswärti- gen Ausschuss. Kofler ist gelernte Bankkauffrau und studierte anschließend Informatik sowie Russisch und Spanisch. Regelmäßig tauscht sich Kofler mit Nicht- Regierungsorganisationen und Aktivisten über die Menschenrechtslage in einzelnen Ländern aus. Im Februar besuchte die Politikerin missio München, um über die Lage auf den Philippinen zu sprechen. missio 3/2017 | 13