Aber es gebe, so Morazan, durchaus Pas- sagen in dem Papier, die man ernst neh- men müsse. Zum Beispiel die Betonung auf afrikanischen Lösungen, auf eine stärkere Industrialisierung und ein Ende Afrikas als reiner Rohstofflieferant für den Rest der Welt - das hält Pedro Mo- razan von „Südwind“ für die interessan- testen Punkte des „Marshallplans“. Ernst gemeinte Partnerschaft - oder nur Lösung der Flüchtlingskrise Ähnliche Stimmen sind aus Afrika selbst zu hören, etwa von Tony O. Elumelu aus Nigeria. Er ist als Investmentbanker selbst Milliardär geworden und leitet in- zwischen eine Stiftung, mit der er jungen Menschen dabei hilft, ihr eigenes Unter- nehmen zu gründen. Schon vor einigen Jahren hat er den Begriff „Africapita- lism“ geprägt. Ein „Afrikapitalismus“ also, mit dem Afrikaner selbst für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung in ihren Heimatländern sorgen sollen. Tony Elumelu schreibt in einem Bei- trag für das US-Magazin TIME: „Wenn Deutschland sich wirklich zu einem Mar- shallplan bekennt, der Afrika als gleich- wertigen Partner behandelt, und der nicht einfach nur die kurzfristige Lösung einer Flüchtlingskrise zum Ziel hat, son- dern partnerschaftlich versucht, Unter- nehmertum und ein breites Wirtschafts- wachstum in Afrika zu fördern – dann kann ich diesen mutigen Beitrag zur Ent- wicklung Afrikas nur von ganzem Herzen unterstützen.“ „Gleichwertig“ und „partnerschaft- lich“ bedeutet aber auch, die bisherigen Handelsbeziehungen zu hinterfragen. Diese europäische Verantwortung wird im Marshallplan nur angedeutet. Viel- leicht, weil das Entwicklungsministerium nur begrenzten Einfluss auf die deutsche Wirtschaftspolitik im allgemeinen hat? Auch Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA werden auf ganz anderer Ebene beschlossen. Ähnliches gilt für Wirtschaftsverträge der Europäischen Union mit Afrika. Die führen oft dazu, dass sich Europa Zugang zum afrikani- schen Markt sichert, aber sich umgekehrt afrikanische Unternehmen schwer tun, ihre Produkte außerhalb Afrikas anzubieten. Wer durch Westafrika reist, findet in manchen Re- gionen noch im kleinsten Dorf die knallig bunten Wer- betafeln der Firma Maggi. Mit roter Schrift auf gelbem Grund preist sie ihre Suppenwürfel an. Sie werden vom Nestlé- Konzern produziert und sind in Afrika äu- ßerst erfolgreich. Angeblich werden allein in Westafrika jeden Tag 100 Millionen der Vier-Gramm-Würfel auf den Märkten ver- kauft. Zugleich kann man etwa in Burkina Faso kleine Frauengruppen besuchen, die aus einheimischen Zutaten das Suppen- gewürz Soumbala herstellen. Aber im An- gesicht der europäischen Maggi-Lawine bleibt diesen Projekten nur ein ganz ge- ringer Marktanteil. Modernes Marketing und industrielle Produktion sind ihnen weit überlegen. Der Begriff „Marshallplan“ soll be- wusst an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern, als die USA zerstör- ten Ländern wie Deutschland und Frank- reich wirtschaftlich wieder auf die Beine halfen und sie so als dauerhafte Verbün- dete gewannen. Diese Parallele aus der Geschichte findet Bundeskanzlerin Merkel offenbar nicht überzeugend. Bei ihrem Besuch im Niger sagte sie, nach 1945 seien die Be- dingungen in Europa ganz andere gewe- sen als heute in Afrika: „Da gab es relativ viele sehr gut gebildete Leute; da gab es Firmen, die sofort wieder arbeiten konn- ten, wenn man ihnen Geld gegeben hat, um das in Gang zu setzen; man hatte ein kluges Wirtschaftsmodell, mit dem man auch marktwirtschaftliche Kräfte freige- setzt hat; man hatte funktionierende Staatsverwaltungen, in denen zum Bei- spiel auch auf der lokalen Ebene die Dinge einigermaßen funktioniert haben.“ Es bleibt der Eindruck, dass die Analyse der Kanzlerin am Ende doch die realisti- schere sein könnte. A CHRISTIAN SELBHERR IM VORDERGRUND WIRTSCHAFT DER „MARSHALLPLAN“ IN ZEHN PUNKTEN Der Plan aus dem Bundes ministerium für wirtschaft liche Zusammenarbeit und Entwick lung (BMZ) soll das Verhältnis zwischen Europa und Afrika auf eine neue Grundlage stellen. Im einzelnen geht es um zehn Forderungen: „Zukunftsvertrag Europas mit Afrika“ Die Bevölkerung Afrikas wird sich bis 2050 verdoppeln. Europa kann helfen, diese Herausforderung zu bewältigen. „Afrika braucht afrikanische Lösungen“ Die Afrikanische Union hat eigene Zukunftspläne entwickelt. Europa muss diese unterstützen und die traditionelle „Geber-Nehmer-Mentalität“ beenden. „Jobs und Chancen für die Jugend“ Afrikas Jugend muss eine Zukunft innerhalb Afrikas haben, nicht in Europa. „Investitionen für Unternehmensgründungen“ Nur die private Wirtschaft kann auf Dauer genügend Jobs schaffen „Wertschöpfung statt Ausbeutung“ Afrika muss mehr sein als nur der Kontinent der Rohstoffe. Landwirtschaftliche und industrielle Produktion in Afrika müssen ausgebaut werden. „Politische Rahmenbedingungen fördern“ Gute Regierungsführung belohnen, Korruption bekämpfen. „Reformpartnerschaften statt Gießkanne“ Entwicklungshilfe vor allem für „Reformchampions“ wie Tunesien und Marokko, Burkina Faso und Togo, Ruanda und Namibia. „Ein gerechter globaler Ordnungsrahmen“ Europa bekennt sich zum fairen Handel, bekämpft illegale Finanzströme, und stoppt Waffenlieferungen in Krisengebiete. Zugleich bekommt Afrika mehr Mitspracherecht in internationalen Gremien. „Entwicklungshilfe sinnvoller einsetzen“ Staatliche Hilfen werden überdacht, private Investitionen ausgebaut. Eigenmittel (z.B. Steuereinnahmen) steigen 쐅 „Niemanden zurück lassen“ Der soziale Sektor wird nicht vernachlässigt, ins - besondere Themen wie Ernährungssicherung, Wasser, Energie, Infrastruktur, Bildung und Gesundheit. Das vollständige Papier gibt es hier: www.marshallplan-mit-afrika.de missio 3/2017 | 23