STICHWORT VETO JEAN ZIEGLER: „Das Vetorecht ist schuld an der Ohnmacht der Vereinten Nationen.“ ZUR PERSON Jean Ziegler, geboren 1934, war Universitäts- professor, Abgeordneter im Schweizer Parlament und UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. In Büchern wie „Der Hass auf den Westen“ (2009), „Wir lassen sie verhungern“ (2012) und „Ändere die Welt!“ (2015) prangert er mutig die Aus - beutung der ärmsten Länder durch skrupel - lose Konzerne und korrupte Regierungen an. Dieser Text ist ein Auszug aus seinem neuen Buch „Der schmale Grat der Hoff nung.“ Darin berichtet Jean Ziegler über seine jahrelange Arbeit in Gremien der Vereinten Nationen. Es geht um kleine Siege und große Nieder - lagen, über heikle Treffen mit Gaddafi, Saddam und Co. – und um die Frage, wie die UNO ihr Ziel eines friedlichen Planeten doch noch erreichen kann. Jean Ziegler: Der schmale Grat der Hoffnung. Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden. C. Bertelsmann (2017). 320 Seiten, 19,99 Euro 8 | missio 3/2017 Das große „Nein“ DIE OHNMACHT der Vereinten Nationen, der Menschen, die dort ar- beiten, erscheint heillos. Eine meiner schlimms ten Erinnerungen betrifft die Nacht zum 14. Februar 2014. An diesem Abend regnete es. Ein kalter Regen, der dicht und heftig fiel. Das Palais des Na- tions in Genf lag im Dunkel. Nur der Ein- gang in der Avenue de la Paix und einige Fenster im obersten Stock waren noch erleuchtet. Dort, hinter den verschlosse- nen und von den Sicherheitskräften der UNO bewachten Türen, tagte in einem der Säle die Regierungsdelegation aus Damaskus unter Leitung von Baschar al- Dschafari, einem brillanten französisch- sprachigen Diplomaten mit großem Ver- handlungsgeschick, aber einem unerhört brutalen und zynischen Charakter. In ei- nem anderen Saal tagten die achtzehn Delegierten – Männer und Frauen – der Nationalen Koalition der syrischen Re- volutions- und Oppositionskräfte. Zwi- schen den beiden Sälen pendelte Lakh - dar Brahimi, der Verhandlungsführer der UNO, da die beiden Delegationen sich weigerten, direkt miteinander zu reden. (...) Hartnäckig hielt sich während des ganzen Tages das Gerücht, die Parteien stünden kurz vor der Einigung auf einen Waffenstillstand, und das Ergebnis der Verhandlungen werde noch in der Nacht bekannt gegeben. (...) Mit Hasni Abidi, einem schweizerisch- algerischen Politologen und Kenner der arabischen Welt, war ich von dem in Bei- rut angesiedelten panarabischen Fern- sehsender Al-Mayadeen (arabisch: der öffentliche Platz) eingeladen worden. Der palästinensische Moderator und Hasni Abidi sprachen Arabisch, ich konnte Französisch sprechen, da ich eine Simultandolmetscherin zur Seite hatte. Stolz sagte der Palästinenser: „Wir sen- den direkt nach Aleppo, nach Homs, die Menschen hören uns ununterbrochen. Sie reden jetzt unmittelbar zu ihnen.“ Regelmäßig wurde die Genfer Sen- dung von Filmsequenzen unterbrochen, die – ebenfalls live – zeigten, was die Bewohner der bombardierten Städte in Syrien zeitgleich erlitten. In al-Schaar, ei- nem Viertel im Osten Aleppos, hatten Hubschrauber der Regierung Chlorbom- ben auf eine Gruppe Kinder abgeworfen, die vor einer Bäckerei Schlange standen. Keuchend wanden sich die kleinen Kör- per im Todeskampf auf den Tragbahren. Vergeblich versuchten zwei Ambulanzen bis zu den Trümmern des Gebäudes vor- zudringen. Wir hörten das Heulen der Sirenen. Weinend und verstört liefen El- tern, Brüder, Schwestern und Nachbarn umher. Ohnmächtig mussten sie zusehen, wie ihre Kinder erstickten. All das über- mittelten uns die Satellitenbilder. Der palästinensische Moderator richtete wie- der das Wort an uns: „Dr. Abidi, Dr. Zieg- ler, was ist zu tun?“ Die Genfer Verhandlung war ein voll- ständiger Fehlschlag. Am 15. Februar be- endete Lakhdar Brahimi die Gespräche, die seit drei Wochen in einer Sackgasse steckten. Er trat von seinen Funktionen zurück. (...) Welchem Umstand ist diese mörderische und schändliche Ohnmacht der UNO geschuldet? Die Antwort ist einfach: dem russischen Veto. Russland ist eines von fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats. Die UNO kann nur in einen Krieg eingreifen und den Frieden wiederherstellen, wenn sich alle fünf ständigen Mitgliedsstaaten dafür entscheiden. Acht Mal hat der rus- sische Botschafter im Erdgeschoss des UNO-Sitzes in New York, im Saal des Si- o t o h P N U , n n a m s l e t r e B . C : s o t o F