WAS ER SICH NOCH vom Le- ben wünsche? Nicht mehr viel. Nur zum Sterben wolle er gerne zurück in seine Heimat. Zurück nach Tibet. Das ist sein großer Traum. Tashi Thasi ist 83 Jahre alt. Er lebt in einer tibetischen Siedlung in der nepale- sischen Stadt Pokhara. Etwa 20 000 tibe- tische Flüchtlinge und deren Nachkom- men leben Schätzungen zufolge im gan- zen Land. Hört man sich in der Bevölke- rung um, heißt es oft: Es sei besser, mit den Tibetern nicht über ihr Leben in Ne- pal zu sprechen. Sie könnten Probleme bekommen. Mit der Regierung. Oder dem chinesischen Geheimdienst. Die meisten Tibeter wollen jedoch erzählen, auch wenn sie wissen, dass sie vorsichtig sein müssen. Und Tashi Thasi nicht zuzuhören wäre fatal. Wer weiß, wie lange er noch berichten kann. Dabei ist er einer der letz- ten Zeitzeugen eines Krieges, den nur we- nige kennen. Tashi Thasi sitzt auf dem Bett in sei- nem kleinen Haus. Die frühe Mittags- sonne fällt durch das offene Fenster auf sein faltiges Gesicht. Er trägt Turnschuhe und Jogginghose. Er ist noch fit auf den Beinen, aber sein Leben hat nicht mehr viel mit dem zu tun, was einmal war. Er betet viel. Auch jetzt hält er eine Gebets- kette in den Händen und murmelt kaum hörbare Gebetszeilen vor sich hin. Dann blickt er auf und erzählt mit wachen Au- gen seine Geschichte: „Sie wählten mich aus, weil ich zu den Älteren gehörte“, sagt er. „Gemeinsam mit 25 anderen Männern brachten sie mich von Tibet in die USA. Das war 1963. Ich glaube, der Ort hieß Colorado. Wir erhielten dort ein speziel- les Training. Ein Kampftraining. Drei Mo- nate lang hat es gedauert. Dann flogen sie Einmarsch in Tibet: Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee rücken vor. uns zurück und warfen uns mit dem Fall- schirm über ‘Upper Mustang` wieder ab.“ Tashi Thasi hat Recht: Er war in Colorado. An dem Ort, an dem in den 50er und 60er Jahren die Geheimoperation „ST Circus“ stattfand. Initiiert und geleitet von dem amerikanischen Geheimdienst CIA. Der Feind: Das kommunistische China. Bauern, Nomaden und Mönche stolper- ten völlig unvorbereitet in den Kampf Als die chinesische Volksbefreiungsarmee 1951 in Tibet einmarschierte, war Tashi Thasi 18 Jahre alt. Acht Jahre später floh das tibetische Oberhaupt, der Dalai Lama, ins indische Exil. China hatte Tibet zum Staatsgebiet erklärt. Die Unzufriedenheit in der tibetischen Bevölkerung wuchs. Tashi Thasi arbeitete damals als Bauer. Dann schloss er sich den Widerstands- kämpfern an. Die meisten von ihnen wa- ren Bauern, Nomaden oder Mönche. Sie stolperten völlig unvorbereitet in den Kampf. Dann kamen die Amerikaner und unterstützten sie: Mit Ausbildung und Waffen. Gegen das weitaus stärkere chinesi- sche Militär hatten die tibetischen Kämp- fer jedoch von Anfang an keine Chance. Das wusste auch die CIA, wie sie Jahre später selbst zugab. Und doch: Einem Vordringen des kommunistischen Chinas Richtung Indien und Nahem Osten wollte die USA damals nicht tatenlos zusehen. Die Unterstützung der tibetischen Wider- TASHI THASI, 83 war das letzte Mal vor zwanzig Jah- ren in Tibet, nachdem seine Mutter gestorben war. Ob seine Geschwister noch leben, weiß er nicht. missio 3/2017 | 33