Der „Che Guevara Afrikas“ Vor 30 Jahren wurde Thomas Sankara, der Präsident von Burkina Faso, ermordet. EIN KOMMUNIST WAR Thomas Sankara nicht, auch wenn das viele behaupteten. Davon ist Pater Toni Weidelener überzeugt. Der Afrika-Missionar aus Deutschland und der Re- volutionär aus Burkina Faso sind sich in den 1980er-Jahren einige Male begegnet. Sankara, der 1983 durch einen Putsch an die Macht gelangt war, verschonte die Christen und ihre Kirchen. Man habe ihm geraten: „Lass die Kirche in Frieden, sie wird länger leben als du.“ Afrika-Missionar Toni Weidelener war schon 1957 in die französische Kolonie Obervolta gekom- men. Sankaras Vater war Katechist. Und als Sankaras Mutter starb, gehörte Pater Weidelener zu denen, die Totenwache hielten. Seit Anfang der 80er-Jahre koordinierte er in der Hauptstadt Oua- gadougou kirchliche Entwicklungsprojekte. Meist hatte er mit ei- nem Abgesandten Sankaras zu tun, manchmal saß er auch dem „Hauptmann“ selbst gegenüber. „Er ist immer ganz menschlich mit uns umgegangen. Aber er hat klar gesagt, was er von uns will,“ erinnert sich Pater Weidelener heute. Zum Beispiel gab der junge Präsident vor: „Ich möchte, dass Sie in drei Jahren 100 Maßnah- men für Wasserversorgung und gegen Erosion durchführen.“ Sankara benannte das alte Obervolta um, befreite es von sei- nem kolonialen Namen und schuf „Burkina Faso“: Das Land der aufrechten Menschen, das Land der Anständigen. Er pflegte einen einfachen Lebensstil, den er auch seiner Regierung verordnete: Sankara lebte in einem bescheidenen kleinen Haus, das bei seinem Tod noch nicht abbezahlt war. Den Mercedes-Fuhrpark der Regierung ersetzte er durch billige Renault. Zeitzeuge: Afrika-Missionar Toni Weide lener traf mehrmals mit Sankara zusammen – wie hier im Januar 1985. Als mitreißender Redner be- schwor er Selbstbewusstsein und Eigeninitiative. „Wagen wir es, die Zukunft zu erfinden“, sagte er. San- kara wollte sein Land unabhängig machen von Almosen und Entwicklungsgeldern. „Lasst uns in Afrika produzieren, verar- beiten, verbrauchen.“ Trotzdem scheiterte Sankara, und zwar tragisch. „Seine ra- dikale Revolution hat die Leute überfordert“, sagt P. Weidele- ner. Das Volk kam mit den vielen Ideen nicht mit, der Rückhalt schwand. Und mit seinen selbstbewussten Reden schuf sich der Revolutionär mächtige Feinde im Ausland: Präsident Francois Mitterand betrachtete Westafrika noch immer als französisches Einflussgebiet. Sankaras Sympathien für Kuba und Moskau riefen die USA auf den Plan. Drohte da etwa ein Kommunismus im westafrikanischen Gewand? Am 16. Oktober 1987 fiel Thomas Sankara einer Verschwö- rung von Militärs zum Opfer. Mitglieder seiner eigenen Leib- garde verrieten ihn, er wurde umgebracht. Die genauen Um- stände des Todes sind bis heute unklar. Der Missionar erinnert sich: „Im Radio wurde mehrere Stun- den nur Militärmusik gespielt.“ Dann sprach Blaise Compaoré zum Volk. Er sagte, nach diesem tragischen Ereignis habe er die Macht übernommen. Compaoré war einer der engsten Ver- bündeten von Sankara gewesen, manche sagen: Er war sein bester Freund. Dass er hinter der Verschwörung steckte, wurde immer wieder vermutet. Compaoré blieb bis 2014 im Amt. Thomas Sankara war nur etwas mehr als vier Jahre Präsident von Burkina Faso gewesen. „Wenn ihm noch zehn Jahre geblieben wären, dann wäre manches anders geworden,“ sagt P. Weidelener. Nach Sanka- ras Tod habe sein Nachfolger Compaoré „einen anderen Mo- tor eingeschaltet, zurück zu Kor- ruption und Vetternwirtschaft“. Burkina Faso blieb verarmt und abhängig vom Ausland. Niemand kann sagen, ob San- kara nicht auch den selben Weg gegangen wäre, den viele andere einschlugen: Als Hoffnungsträger begonnen, zum Diktator verwan- delt, am Ende grandios gescheitert. Immerhin hatte ja auch Sankara ganz und gar undemo kratisch alle Oppositionsparteien verbieten lassen. Er ersetzte Richter und Staatsanwälte durch sogenannte „revolutionäre Komittees“, deren Verhalten oft von Willkür geprägt war. Aber die Ideen und Visionen, die Thomas Sankara für ein modernes und selbstbewusstes Afrika entwi - ckelte, leben weiter. A CHRISTIAN SELBHERR missio 5/2017 | 11