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mm_ebooks_05_2017

VORSICHT SATIRE GLOSSE:N BIN ICH FROH, DASS ICH NICHT DABEI WAR, ALS ... ... ich im Kindergarten krümelte. WIR WAREN DAMALS keine Kita gruppe mit begrenzter Aufnahmekapazität, sondern ein Haufen Kinder mit so viel Aufnahmekapazität, wie‘s eben gerade Kinder in dem Alter in diesem Sprengel gab. Gebändigt wurden wir mit einem nach strengen Regeln durchsetzten Tagesablauf. Zum Beispiel durfte man zu bestimmten Zeiten nicht schwätzen. Tat man‘s trotzdem, auch wenn’s nur ganz leise ge- flüstert war, bekam man ein Pflaster auf den Mund gepickt. Ich glaube, dass ich und meine Geschwister nicht oft, wenn überhaupt bestraft wurden. Mir wär‘s einmal um ein Haar widerfahren. Da hatte ich was angestellt aber ich gab‘s nicht zu. Ich rettete mich durch eine Lüge oder ein feiges Nicht-den-Mund- aufmachen. Dafür schäme ich mich heute noch. Ich hatte gekrümelt! Und Krümeln war im Kin- dergarten verboten! Daheim hießen die Krümel „Brösel“ und waren überhaupt nichts Schlimmes. Wenn gegessen wurde, war’s ganz normal, dass halt Brösel auf dem Tisch zurückblieben. Die Mama wischte sie beim Abräumen weg, einfach so. Im Kin- dergarten hingegen, wenn es an der Zeit war die Brotzeit auszupacken und zu verzehren, durften da- nach auf dem Tisch keine Krümel zu sehen sein. Das war nicht einfach, weil zum Wesen einer Brezn oder Semmel gehört es zu krümeln, sobald man in diese hineinbeißt. Einmal hatte ich vergessen dafür zu sorgen, dass die Krümel zauberzauber vom Tisch verschwunden waren. Die Schwester Edeltraud, die gar keine rich- tige Schwester mit Schleier war wie meine beiden Klosterschwestertanten, sondern ein ganz norma- les Kindergartenfräulein, diese Schwester Edeltraud stand nun bei meinem Brotzeitplatz und blickte ernst auf die nicht verschwundenen Krümel. Ab diesem Zeitpunkt lässt mich mein Gedächtnis im Stich. Hab ich gleich gesagt: „Ich war‘s nicht!“ und die Schwester Edeltraud hat einfach angenommen, dass es dann nur der Schall Werner gewesen sein kann, weil der nach mir am nächsten bei den Krü- meln gesessen hatte oder hat sie von vornherein gleich ihn verdächtigt, weil das so einer war, dem man das Krümeln eher zutraute, als mir. Oder war ich tatsächlich so dreist und hab mit dem Finger auf den Schall Werner gezeigt: „Der da war‘s!“ Der Schall Werner, nicht ich, bekam die Finger verklopft! Der hat wahrscheinlich gar nicht kapiert um was es ging. Vielleicht hat er gedacht, im Kindergarten ist das halt so, da bekommt man zwischendurch ein Pflas - ter auf den Mund gepickt und die Finger verklopft und jetzt war halt mal wieder er an der Reihe. Ich hab schon kapiert um was es geht. Das Finger-ver- klopft-kriegen tat gar nicht so weh, das brannte viel- leicht ein bisschen. Aber nach so einer Prozedur ge- hörte man schon nicht mehr so 100-prozentig zu den Braven und Gescheiten. Und zu denen wollte ich unbedingt auch weiterhin gezählt werden, wenn der Hl. Nikolaus vom Himmel herunter zu uns in den Kindergarten kam und uns einteilte: die Guten auf seine rechte Seite, die Bösen auf die linke. Es tut mir so leid, dass ich mich nie im Laufe unseres Älterwerdens beim Schall Werner ent- schuldigt habe oder noch besser mit ihm zusam- men darüber gelacht, nach was für kuriosen Ge- setzen unser Verhalten im Kindergarten ausge- richtet war: „Krümeln verboten!“ Als junger Mensch habe ich dem Vergangenen in meinem Kopf nicht so viel Aufmerksamkeit zu- kommen lassen. Und jetzt ist es schon lange zu spät, viel zu spät. Der Schall Werner ist sehr früh verstorben, mit 18 Jahren. Ich kam gerade von ei- nem Italienurlaub zurück, auch 18-jährig. Da hieß es: Der Schall Werner ist tot, beim Arbeiten auf dem Dach zu Tode gestürzt. Ich stelle mir vor, was er wohl sagen würde, wenn er noch am Leben wär und ich stünd’ vor sei- ner Wohnungstür mit meinen über 60 Jahren und einer Flasche Versöhnungswein. Aber auch, wenn er sich nicht mehr an diese Krümelgeschichte er- innern würde, es hätte ihm sicher gut getan zu wis- sen, dass eines dieser doofen und braven Kinder wegen ihm noch nach Jahrzehnten von schlechtem Gewissen geplagt wird. Ob das Fräulein Edeltraud an einem Kriegstrauma gelitten hat? Vielleicht war sie, wie meine Mutter und die Großeltern, ein Flüchtling? Ständig auf der Flucht vor dem Feind, war sie vielleicht dazu angehalten worden, ja keine Spuren zu hinterlassen. Krümel konnten in so einer Situation ein lebensgefährlicher Hinweis sein. Dieses Spuren-beseitigen-müssen hat sie dann nie mehr aus sich rausgekriegt und es ist zu einer Zwangsneurose geworden? Ach was! A t a v i r p : o t o F MARIA PESCHEK V 1953 im Landkreis Landshut geboren, ist Schauspielerin und Kabarettistin. 1985 tritt Peschek zum ersten Mal mit ihrer Kunst figur Paula Pirschl beim Scharf richter - beil-Wettbewerb in Passau an und gewinnt auf Anhieb den zweiten Platz. Es folgen zahlreiche Solo- Programme und Auftritte in Funk- und Fernsehen. Peschek schreibt Theaterstücke, führt Regie und gehört den Literaturzirkeln „See - rosen kreis“ und „Münchner Turm - schreiber“ an. Außerdem ist sie Mitglied der „Saubande“, ein Karl Valentin-Liesl-Karlstadt-Verein. Für ihre selbstironische und geistreiche Bühnenshow erhielt Peschek 2009 den Kabarett-Preis der Stadt München. Aktuell tritt Peschek mit ihrem Ehemann, dem Schauspieler Helmut Dauner, in dem gemein - samen Kabarett programm „Was war des jetzt?“ auf. Infos: www.mariapeschek.de 28 | missio 5/2017

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