NACHGEFRAGT BEI ... „Der IS hat immer wieder versucht, uns an- zugreifen.“ Wie haben Sie die Krise des Jah- res 2013/14 erlebt, als der Islamische Staat weite Teile des Irak eroberte? Wenn wir ehrlich sind, begann es schon viel früher. Für uns Christen war das alles nicht neu. Ich komme ursprünglich aus ei- nem kleinen Dorf in der Ninive-Ebene, aber mein Vater arbeitete meistens in Mossul. Also verbrachte ich auch 30 Jahre in Mossul. Nach dem Sturz des Saddam- Regimes 2003 war dort alles für jeden er- laubt. Jeder konnte machen, was er wollte. Ab 2004 wurde es für uns Christen immer schlimmer. Radikale schlossen sich in Banden zusammen, gingen organisiert ge- gen uns vor. Vor allem die jungen Leute gerieten ins Visier dieser Milizen. Wie zeigte sich das im Alltag? Historische Christenviertel wurden ange- griffen, christliche Familien immer mehr unter Druck gesetzt, um sie aus ihren Hei- matgebieten zu verdrängen. In den fol- genden Jahren wurde dieser Druck, diese Bedrängnis immer schlimmer. Zum Bei- spiel wurde mein älterer Bruder im Jahr 2006 in Mossul entführt. Danach ent- schied unsere Familie, die Stadt zu verlas- sen. Wir siedelten uns hier in der Ninive- Ebene an. Wie wirkte sich das auf das Mor Mattai- Kloster aus? Oder blieben Sie verschont? Hier im Kloster nahmen wir immer wie- der Familien auf, die aus Mossul geflohen waren. Sie blieben zwei Wochen, 40 Tage, bis sich die Lage wieder beruhigt hatte und sie nach Hause gehen konnten. 2009, 2010, 2011 kamen immer mehr. Dann be- setzte der IS die Stadt Mossul. Als die Isla- misten die Stadt einnahmen, wussten die Christen: „Wir müssen weg!“ Hier im Klos- ter nahmen wir mehr als 65 Familien auf. Sie lebten etwa zwei Monate bei uns, be- vor sie weiterzogen. 12 | missio 1/2018 Raban Yousiff, Mönch im Irak Bis auf vier Kilometer rückte der „Islamische Staat“ 2014 an das orthodoxe Kloster Mor Mattai im Irak heran. Raban Yousiff beschreibt diese Zeit der Angst und der Ungewissheit. Und er sagt, was jetzt getan werden muss, damit es eine Zukunft für die christliche Minderheit im Nahen Osten gibt. INTERVIEW: CHRISTIAN SELBHERR