BLICKWECHSEL AFGHANISTAN Licht und Schrift ICH KENNE die ver- schiedensten Materialien, aber nichts ist für mich wie Glas“, sagt Mahbuba Maqsoodi. Sie steht in ihrem Atelier in Mün- chen, umgeben von ihren Wer- ken. „In Afghanistan habe ich mit Miniaturen begonnen. Und nun sind leuchtende Wände daraus geworden.“ Die Afghanin Mahbuba Ma - q soodi hat eine bewegte Ge- schichte hinter sich. Wenn sie von ihrer Kindheit in einem Dorf nahe der Stadt Herat er- zählt, kommt sie sehr bald auf ihr en Vater zu sprechen. Ohne ihn wäre ihr Leben anders ver- laufen, davon ist sie überzeugt. Sie wäre, wie die meisten afgha- nischen Mädchen, verheiratet worden, ohne um Einwilligung gefragt zu werden. Sie hätte ei- nen Schleier tragen müssen und ein Leben führen, das andere bestimmen. Mahbuba Maq - soodi aber hatte das Glück, dass ihr Vater seine sieben Töchter behandelte wie nur wenige Väter das in Afghanistan tun: Er be- trachtete die sieben Mädchen nicht als Widrigkeit des Schick- sals, sondern erzog sie mit Liebe und Respekt. Und vor allem zu freiem Denken. Und dieses freie Denken hat sie begleitet, durch viele Jahre und drei Länder, aus Herat über Sankt Petersburg EIN SAKRALER RAUM KANN DIE INNERE WELT BEREICHERN“ nach München und von der Miniaturmalerei ihrer Heimat zu Buntglasarbeiten. Leuchtende Fenster, die sich in den Kirchen von Texas, Colorado, Tennessee, aber auch im Münchner Rats- keller und in der Glasdecke des New Yorker Senats finden. Noch in Afghanistan heiratete sie den jungen Miniaturmaler Fazl Maqsoodi. „Noch heute denke ich mir, wenn ich etwas fer- tig gestellt habe: Was würde Fazl davon halten?“ Das Künstler- ehepaar arbeitete über Jahrzehnte miteinander. Ihr Arbeitgeber war die Mayer’sche Hofkunstanstalt in München. Den Mut, dort vorzusprechen, hatte Mahbuba, erinnert sie sich. 24 | missio 1/2018 „Unsere Lage war ja nicht einfach: Wir waren ja als Asyl- suchende in München ange- kommen“, sagt sie. Mahbuba Maqsoodi hat vor kurzem ein Buch geschrie- ben. Es trägt den Titel „Der Tropfen weiß nichts vom Meer“. Darin schildert sie auch, wie eine Sachbearbeite- rin im Jahr 1994 alle Doku- mente für den Asylantrag der Familie prüfte. „Nach vier Stunden fragte sie, ob sie die Fotografien unserer künstleri- schen Arbeiten auch einer Kol- legin zeigen dürfe. Ich erinnere mich noch genau, wie sie wie- der ins Zimmer trat und sagte: Willkommen in Deutschland!“ Zwei Jahre später hatte das Ehepaar Maqsoodi einen fes - ten Vertrag bei der Mayer´ schen Hofkunstanstalt in der Tasche. „Ich habe gewagt, das anzufangen, denn ich wusste, die Basis ist durch das Stu- dium in Russland da“, sagt sie rückblickend. Bereut haben diesen Schritt weder die Maqsoodis noch ihr Arbeitgeber. „Und dann bekamen wir sogar den Auf- trag, Fenster für sakrale Räume zu schaffen. Diese Arbeit hat mich mit tiefem Respekt erfüllt.“ Immer wieder wird sie gefragt, warum eine Frau, die aus einer islamischen Gesellschaft stammt, katholische Heilige und biblische Szenen auf Kirchenfenster malt. „Unsere Welt ist doch eine fast komplett materialistische Welt“ sagt sie „Wer Not leidet, ist Tag für Tag damit beschäftigt, seine materiellen Bedürfnisse zu befriedigen. Wem es an nichts fehlt, der ist genauso beschäftigt, weil er von allem immer mehr haben will. Für mich ist ein sakraler Raum ein Ort, der die in- nere Welt bereichern kann“, sagt sie. Die Werke in ihrem Münchner Atelier zeigen, dass Mahbu- bas innere Welt durchaus auch die äußere spiegelt: Es gibt Ar- beiten, die Flüchtende zeigen, die kriegsversehrte Städte zeigen, die verschleierte, sprachlose Frauen zeigen. Eine Wirklichkeit, die Mahbuba nicht bezwungen hat. A BARBARA BRUSTLEIN t a v i r p , h t r e f y e S i f f e t S : s o t o F Mahbuba Maqsoodi, 60 Künstlerin aus Afghanistan