Die Flucht von mehr als 65 Millionen Menschen weltweit ist ein großes Geschäft. Zu den Profiteuren gehören Menschenhändler und Cafébesitzer, Regierungen und die wachsende Sicherheitsindustrie. Wie der neue Goldrausch funktioniert - und warum kein Ende in Sicht ist. VON MARC ENGELHARDT 22 | missio 2/2017 EUROPAS GRENZEN dicht zu machen lohnt sich – nicht nur (vermeint- lich) für Politiker, die hoffen, damit Popu- listen Stimmen abzujagen. Geschäfts- leute aller Art machen dank der Flücht- linge Milliarden, allen voran die Schlep- perindustrie. Zwischen drei und sechs Milliarden Euro soll sie 2015 alleine im Mittelmeerraum umgesetzt haben, schätzt die europäische Polizeibehörde Europol in Den Haag. Ihr Chef, Rob Wainwright, spricht vom „am schnellsten wachsenden kriminellen Markt in Eu- ropa“, der inzwischen ebenso viel Erlös bringt wie der Drogenhandel. Wain- wright rechnet mit einem Umsatzwachs- tum um das Zwei- oder Dreifache, sollte die Flüchtlingswelle in der Region an- halten. Weltweit machten Menschenhändler Schätzungen zufolge einen Umsatz von mehr als 28 Milliarden Euro. Die Inter- nationale Organisation für Migration geht von einem geringeren Betrag aus, aber auch sie spricht von Geschäften im zweistelligen Milliardenbereich. Die Be- rechnungen sind naturgemäß schwierig, weil ein Großteil des Geschäfts in der Il- legalität stattfindet. „Ein Syrer, der über die Türkei nach Europa kommt, zahlt zwischen 6000 und 7000 Dollar“, rech- net der italienische Universitätsprofes- sor Andrea Di Nicola vor, Kriminologe an der Universität von Trient. Er forscht über die Mafia, über Menschenhandel und Immigration. „In Afrika, südlich der Sahara, wird in einzelnen Tranchen von 500 bis 1000 Dollar für jede Etappe, je- den Grenzübertritt gezahlt.“ Die gesamte Reise nach Europa koste einen afrikani- schen Flüchtling so mindestens 5000 Dollar. Für die Schleuser lohnt sich das Geschäft, sagt Di Nicola: „1000 Dollar ist der Standardpreis für die Überfahrt von Libyen aus. Bei 1000 Menschen kommt ein Schleuser also auf eine Million Dol- lar.“ Die Gewinnspanne liegt bei mindes- tens 100 Prozent, schätzt er, Schmier- gelder schon eingerechnet. Die Dublin- Verordnung innerhalb der EU, die Asyl- bewerber zwingt, ihren Antrag im ersten Ankunftsland zu stellen, erhöht die Ein- nahmen zusätzlich, kalkuliert der Krimi- nologe. „Auch die Flüchtlinge, die ein Recht auf Asyl haben, zahlen tausende Dollar, um dort hinzukommen, wo sie ih- ren Asylantrag stellen können.“ Doch die Abschottung europäischer Grenzen ist nicht nur für Schleuser lu- krativ. Seit mitten in Europa wieder Zäune gebaut werden, können sich Rüs- tungskonzerne und Hersteller etwa von Nato-Stacheldraht vor Aufträgen kaum noch retten. 175 Kilometer lang ist alleine der Zaun, den Ungarn an seiner Grenze aufgebaut hat. 20 Millionen Euro soll die Regierung von Viktor Orbán für den Schutzwall an der Grenze zu Serbien ausgegeben haben. Österreich plant ähnliches am Brenner, die Schweiz denkt Fotos: Andrea Vollmer, dpa „Ein Syrer, der über die Türkei nach Europa kommt, zahlt zwischen 6000 und 7000 Dollar“ Fluchtrausch