23 missio 2/2017 | IM VORDERGRUND FLÜCHTLINGE über eine Umzäunung des Tessins nach, Bulgarien will sich zur Türkei hin abzäu- nen und Griechenland ebenso. Das Geschäft mit Stacheldraht Gute Nachrichten für Firmen wie die Eu- ropean Security Fencing mit Sitz im spa- nischen Malaga, die nach eigenen Anga- ben seit zehn Jahren im Geschäft ist und ihr „Rapid Deployment System“ oder den Stacheldraht mit bis zu 2,8 Zentime- ter langen, rasiermesserscharfen Wider- haken in zwanzig Staaten exportiert – darunter Ungarn, die Türkei und die Ver- einigten Arabischen Emirate. In Berlin hat die Firma ihr einziges Büro außer- halb von Spanien, in bester Lage, gleich hinter dem Französischen Dom. Die Ge- schäfte gehen offenbar gut, obwohl ge- rade NATO-Stacheldraht mit seinen Wi- derhaken besonders umstritten ist. In Melilla, einer spanischen Exklave auf af- rikanischem Boden, ziehen sich Flücht- linge, die versuchen, den sieben Meter hohen Zaun zu überwinden, immer wie- der tiefe Schnittwunden zu. Ärzten zu- folge sollen mehrere Flüchtlinge bereits an diesen Wunden verblutet sein. Bezahlt werden stacheldrahtbewehrte Zäune auch aus Töpfen der EU: Im Zeit- raum bis 2020 hat Brüssel mehr als neun Milliarden Euro für die Grenzsicherung bereitgestellt. 70 Millionen davon sind ausdrücklich für den Bau von Zäunen in Spanien und Griechenland vorgesehen. Die Milliarden für die Förderung der Rüstungsindustrie sind darin noch nicht enthalten. Doch auch die boomt. 210 Millionen Euro sind Recherchen des ARD-Magazins „Report Mainz“ in den vergangenen Jahren über ein spezielles europäisches Forschungsprogramm an Rüstungsfirmen geflossen, um die Über- wachung der Außengrenzen technisch aufzurüsten. Besonders pikant: Rüstungs- firmen sitzen offenbar auch in dem Bera- terstab, der die Entscheidungen der EU- Kommission in Sicherheitsfragen vorbe- reitet. Der französische Drohnenherstel- ler Sagem etwa durfte demnach einen Bericht erarbeiten, indem die ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen von Drohneneinsätzen an der EU-Au- ßengrenze untersucht werden sollte. Kaum überraschendes Ergebnis: Der Einsatz wurde ausdrücklich empfohlen. Das Beispiel zeigt, warum die 210 Millio- nen für die Rüstungsforschung nur der Anfang sind. Denn die mit EU-Subven- tionen entwickelten Sicherheitslösungen und -technologien verkaufen die Kon- zerne später noch an die EU oder ihre Mitgliedsstaaten, ein noch viel lukrative- res Geschäft. Alleine das europäische Grenzüberwachungsprogramm Frontex verzeichnete 2016 Einnahmen von 254 Millionen Euro. Dazu kommen die Wehr- und Polizeietats einzel- ner Staaten. Der Chef des italienischen Mari- neführungsstabs etwa, Giuseppe De Giorgi, forderte 2013 Inves- titionen von zehn Milliarden Euro in die Marine. Solche Geldtöpfe locken auch Krimi- nelle und Trickser an. Ordentlich Geld lässt sich etwa machen, wenn Flücht- linge – oft unter erbärmlichsten Bedin- gungen – untergebracht werden. Nicht nur in Italien gibt es privatisierte Auf- nahmelager wie das berüchtigte „Cara“ in Mineo auf Sizilien. Konsortien wie das Cara oder Firmen, die solche Lager be- treiben, bekommen pro Flüchtling und Tag 35 Euro ausgezahlt. Bei 5000 Flücht- lingen sind das 175 000 Euro – am Tag. Privatleute bekommen noch mehr, näm- lich 45 Euro pro Kopf. Auch in Deutsch- land werden heruntergekommene Woh- nungen an Flüchtlinge vermietet, für die dann der Staat zahlt. Zwischen 25 und 50 Euro pro Kopf und Nacht sind das in Berlin, das Landesamt für Gesundheit und Soziales stellt dafür Kostenüber- nahmebescheinigungen aus. Zwischen 4 500 und 9000 Euro machte so ein aufgeflogener Wohnungsbesitzer mit einer einzigen 70-Quadratmeter-Woh- nung. Ein Mitarbeiter der Sozialbehörde schätzt, dass alleine in Berlin ein drei- stelliger Millionenbetrag verloren geht, weil skrupellose Vermieter in angebli- chen Pensionen, die in Wirklichkeit leerstehende Wohnungen sind, hohe Ta- gessätze statt Monatsmieten berechnen. Nicht zuletzt profitieren ganze Staa- ten von der Flucht ihrer Bürger. Eritreer im Ausland etwa müssen einen Prozent- satz ihrer Einkünfte bei der Botschaft abliefern, als sogenannte Aufbausteuer. Damit ersetzt der totalitäre Staat auch Budgethilfen, die der Westen eingestellt hat. Der erhoffte Druck auf das Regime verpufft damit. Andere machen es ähn- lich. Als die EU und andere Staaten vor- übergehend Budgethilfen für Ruanda wegen Vorwürfen einfroren, das Land unterstütze Rebellen im Nachbarland Kongo, rief die Regierung die Auslands- ruander auf, in einen Solidarfonds ein- zuzahlen. Nicht zuletzt der Gruppen- druck in der Diaspora, wo man einander kennt, garantiert den Erfolg solcher Mo- delle. Für viele ärmere Staaten ist es es- sentiell, dass Hoffnungslose weiter in die reichen Staaten der Welt fliehen. A Rüstungsfirmen sitzen offenbar auch in dem Berater- stab, der die Entscheidungen der EU-Kommission in Sicherheitsfragen vorbereitet. 26 Weltreporter haben Flüchtlinge überall auf dem Globus getroffen und ihre Geschichten aufgeschrieben. Zusammen mit acht Hintergrund- kapiteln etwa zum Geschäft mit der Flucht ist ein Buch entstanden, das den Beginn einer Revolution – nicht einer Krise – beschreibt. Marc Engelhardt (Hg.): Die Flüchtlingsrevolution, 351 Seiten, Pantheon Verlag 2016, 16,99 Euro Marc Engelhardt berichtet seit 2010 aus Genf von den Vereinten Nationen, davor war er sieben Jahre lang Afrika-Korrespondent. Der Text ist die gekürzte Version eines unter Mitarbeit von Susanne Güsten und Julius Müller- Meiningen entstandenen Kapitels aus dem Buch „Die Flüchtlingsrevolution“. Kontakt: marcengelhardt.blog lingen sind das 175000 Euro – am Tag. 4500 und 9000 Euro machte so ein